Chap. 03
– Schwejk vor den Gerichtsärzten
→SCHWEIK BEFORE THE MEDICAL AUTHORITIES
Die sauberen, gemütlichen Zimmerchen des Landesstrafgerichtes machten auf Schwejk den günstigsten Eindruck.
→The clean, cosy cubicles of the county criminal court produced a very favourable impression upon Schweik.
Und die Untersuchungsrichter, Pilatusse der Neuzeit, ließen sich, statt sich in allen Ehren die Hände zu waschen, bei »Teissig« Gulasch und Pilsner Bier holen und lieferten der Staatsanwaltschaft neue und neue Klagen ab.
→And the examining justices, the Pilates of the new epoch, instead of honorably washing their hands, sent out for stew and Pilsen beer, and kept on transmitting new charges to the public prosecutor.
Zu einem solchen Herrn führte man Schwejk zum Verhör.
→It was to one of these gentlemen that Schweik was conducted for cross-examination.
Als man Schwejk vorführte, forderte er ihn mit der ihm angeborenen Liebenswürdigkeit auf, sich zu setzen, und sagte: »Also Sie sind der Herr Schwejk?«
→When Schweik was led before him, he asked him with his inborn courtesy to sit down, and then said: “So you’re this Mr. Schweik?”
»Ich denk«, entgegnete Schwejk, »dass ichs sein muss, weil auch mein Vater ein Schwejk und meine Mutter eine Schwejk war.
→“I think I must be,” replied Schweik, “because my dad was called Schweik and my mother was Mrs. Schweik. I couldn’t disgrace them by denying my name.”
Ich kann ihnen nicht so eine Schande antun, meinen Namen zu verleugnen.«
→I couldn’t disgrace them by denying my name.”
Ein freundliches Lächeln huschte über das Gesicht des Gerichtsrates.
→A bland smile flitted across the face of the examining counsel.
»Sie haben sich aber eine hübsche Geschichte eingebrockt. Sie haben hübsch viel auf dem Gewissen.«
→“This is a fine business you’ve been up to. You’ve got plenty on your conscience.”
»Ich hab immer viel auf dem Gewissen«, sagte Schwejk, indem er noch freundlicher lächelte als der Herr Gerichtsrat, »ich hab vielleicht noch mehr auf dem Gewissen als Sie, Euer Gnaden.«
→“I’ve always got plenty on my conscience,” said Schweik, smiling even more blandly than the counsel him- self. “ I bet I’ve got more on my conscience than what you have, sir.”
»Das geht aus dem Protokoll hervor, das Sie unterschrieben haben«, sagte in nicht minder freundlichem Ton der Gerichtsrat, »hat man auf der Polizei keinen Druck auf Sie ausgeübt?«
→“I can see that from the statement you signed,” said the legal dignitary, in the same kindly tone. “Did they bring any pressure to bear upon you at the police head- quarters?”
»Aber woher denn, Euer Gnaden. Ich selbst hab sie gefragt, ob ichs unterschreiben soll, und wie sie gesagt ham, ich solls unterschreiben, hab ich ihnen gefolgt.
→“Not a bit of it, sir. I myself asked them whether I had to sign it and when they said I had to, why, I just did what they told me.
Ich wer mich doch nicht mit ihnen wegen meiner eigenen Unterschrift zanken.
→ It’s not likely that I’m going to quarrel with them over my own signature.
Damit möcht ich mir ganz bestimmt nicht nützen. Ordnung muss sein.«
→ I shouldn’t be doing myself any good that way. Things have got to be done in proper order.”
»Fühlen Sie sich ganz gesund, Herr Schwejk?«
→“Do you feel quite well, Mr. Schweik?”
»Ganz gesund grad nicht, Euer Gnaden Herr Rat.
→“I wouldn’t say quite well, your worship.
Ich hab Rheuma, ich kurier mich mit Opodeldok.«
→ I’ve got rheumatism and I’m using emlirocation for it.”
Der alte Herr lächelte wiederum freundlich. »Was würden Sie dazu sagen, wenn wir Sie von Gerichtsärzten untersuchen lassen würden?«
→The old gentleman again gave a kindly smile. “ Suppose we were to have you examined by the medical authorities.”
»Ich denk, dass es mit mir nicht so arg is, dass die Herren mit mir überflüssige Zeit verlieren müssten.
→“I don’t think there’s much the matter with me and it wouldn’t be fair to waste the gentlemen’s time.
Mich hat schon irgendein Herr Doktor auf der Polizeidirektion untersucht«
→There was one doctor examined me at the police headquarters.”
»Wissen Sie was, Herr Schwejk, wir werden es halt doch mit den Gerichtsärzten versuchen.
→“All the same, Mr. Schweik, we’ll have a try with the medical authorities.
Wir werden hübsch eine Kommission zusammenstellen, werden Sie in Untersuchungshaft belassen, und inzwischen ruhen Sie sich hübsch aus.
→We’ll appoint a little commission, we’ll have you placed under observation, and in the meanwhile you’ll have a nice rest.
Vorläufig noch eine Frage: Sie sollen nach dem Protokoll erklärt und verbreitet haben, dass bald ein Krieg ausbrechen wird?«
→Just one more question : According to the statement you’re supposed to have said that now a war’s going to break out soon.”
»Das bitte ja, Euer Gnaden, er wird in der allernächsten Zeit ausbrechen.«
→“Yes, your worship, it’ll break out at any moment now.”
« Damit war das Verhör beendet. Schwejk reichte dem Gerichtsrat die Hand.
→That concluded the cross-examination. Schweik shook hands with the legal dignitary,
Als er in seine Zelle zurückkehrte, sagte er seinen Nachbarn: »So wern mich also wegen dem Mord am Herrn Erzherzog Ferdinand die Gerichtsärzte untersuchen.«
→and on his return to the cell he said to his neighbours ; “Now they’re going to have me examined by the medical authorities on account of this murder of Archduke Ferdinand.”
»Ich glaub diesen Gerichtsärzten nichts«, bemerkte ein Mann von intelligentem Aussehen.
→“I don’t trust the medical authorities,” remarked a man of intelligent appearance.
»Wie ich einmal Wechsel gefälscht hab, hab ich für alle Fälle die Vorlesungen vom Doktor Heveroch besucht, und wie sie mich erwischt haben, hab ich einen Paralytiker simuliert, genauso wie ihn Herr Doktor Heveroch geschildert hat.
→ “Once when I forged some bills of exchange I went to a lecture by Dr. Heveroch, and when they nabbed me I pretended to have an epileptic fit, just like Dr. Heveroch described it.
Ich hab einen Gerichtsarzt von der Kommission ins Bein gebissen, hab die Tinte aus dem Tintenfass ausgetrunken und hab mich, mit Vergeben, meine Herren, vor der ganzen Kommission in einem Winkel ausgemacht.
→I bit the leg of one of the medical authorities on the commission and drank the ink out of the inkpot. But just because I bit a man in the calf they reported I was quite well, and so I was done for.”
»Ich denk«, sagte Schwejk, »wir sollten alles von einer bessern Seite betrachten. Jeder kann sich irren, und er muss sich irren, je mehr er über etwas nachdenkt. Die Gerichtsärzte sind Menschen, und Menschen ham ihre Fehler.
→ “I think,” said,Schweik, “that we ought to look at everything fair and square. Anybody can make a mistake, and the more he thinks about a thing, the more mistakes he’s bound to make. Why, even cabinet ministers can make mistakes.”
«Die Kommission der Gerichtsärzte, die darüber entscheiden sollte, ob der geistige Horizont Schwejks all den Verbrechen, deren er angeklagt war, entspreche oder nicht, bestand aus drei ungewöhnlich ernsten Herrn, deren Ansichten bedeutend auseinandergingen.
→The commission of medical authorities which had to decide whether Schweik’s standard of intelligence did, or did not, conform to all the crimes with which he was charged, consisted of three extremely serious gentlemen with views which were such that the view of each separate one of them differed considerably from the views of the other two.
Sie vertraten drei verschiedene wissenschaftliche Schulen und psychiatrische Anschauungen.
→They represented three distinct schools of thought with regard to mental disorders.
Wenn es im Falle Schwejk zwischen diesen entgegengesetzten wissenschaftlichen Lagern zu einer völligen Übereinstimmung kam, lässt sich dies nur durch den niederschmetternden Eindruck erklären, den Schwejk auf die ganze Kommission machte.
→If in the case of Schweik a complete agreement was reached between these diametrically opposed scientific camps, this can be explained simply and solely by the overwhelming impression produced upon them by Schweik
Beim Betreten des Zimmers, in dem sein Geisteszustand geprüft werden sollte, rief er nämlich aus, als er auf der Wand das dort hängende Bild des österreichischen Monarchen bemerkte:
→who, on entering the room where his state of mind was to be examined and observing a picture of the Austrian ruler hanging on the wall, shouted:
»Meine Herren, es lebe Kaiser Franz Josef I.!«
→ “Gentlemen, long live our Emperor, Franz Josef the First.”
Die Sache war vollkommen klar.
→The matter was completely clear.
Durch die spontane Kundgebung Schwejks entfiel eine ganze Reihe von Fragen, und es bedurfte nur noch einiger der wichtigsten, um aus den Antworten auf Grund des Systems des Psychiaters Kallerson, des Doktors Heveroch und des Engländers Weiking die wahre Geistesverfassung Schwejks festzustellen.
→Schweik’s spontaneous utterance made it unnecessary to ask a whole’lot of questions, and there remained only some of the most important ones, the answers to which were to corroborate Schweik’s real opinion, thus :
»Ist Radium schwerer als Blei?«
→“Is radium heavier than lead?”
»Ich habs, bitte, nicht gewogen«, antwortete Schwejk mit seinem freundlichen Lächeln.
→“I’ve never weighed it, sir,” answered Schweik with his sweet smile.
»Glauben Sie an das Ende der Welt?«
→“Do you believe in the end of the world?”
»Zuerst müsst ich das Ende der Welt sehn«, warf Schwejk gleichmütig hin, »ganz bestimmt wern wirs aber morgen noch nicht erleben.«
→“I’d have to see the end of the world first,” replied Schweik in an offhand manner, “but I’m sure it won’t come my way tomorrow.”
»Könnten Sie den Durchmesser der Erdkugel ausmessen?«
→“Could you measure the diameter of the globe?”
»Das möcht ich, bitte, nicht treffen«, antwortete Schwejk, »aber ich selbst möcht Ihnen, meine Herren, auch ein Rätsel aufgeben:
→“No, that I couldn’t, sir,” answered Schweik, “but now I’ll ask you a riddle, gentlemen.
Es is ein dreistöckiges Haus, in diesem Haus sind in jedem Stock acht Fenster.
→There’s a three-storied house with eight windows on each story.
Auf dem Dach sind zwei Erker und zwei Kamine.
→On the roof there are two gables and two chimneys.
In jedem Stock sind zwei Mieter. Und jetzt sagen Sie mir, meine Herrn, in welchem Jahr is dem Hausmeister seine Großmutter gestorben?«
→ There are two tenants on each story. And now, gentlemen, I want you to tell me in what year the house porter’s grand-mother died?”
Die Gerichtsärzte blickten einander bedeutungsvoll an, nichtsdestoweniger stellte einer von ihnen noch die Frage:
→The medical authorities looked at each other meaningly, but nevertheless one of them asked one more question :
»Kennen Sie nicht die größte Tiefe im Stillen Ozean?«
→“Do you know the maximum depth of the Pacific Ocean?”
»Bitte nein«, lautete die Antwort, »aber ich denk, dass sie entschieden größer sein wird als die von der Moldau unterm Wyschehrader Felsen.«
→“ I’m afraid I don’t, sir,” was the answer, “ but it’s pretty sure to be deeper than what the river is just below Prague.”
Der Vorsitzende der Kommission fragte kurz: »Genügt?«, aber eines der Mitglieder erbat sich doch noch folgende Frage: »Wieviel ist 12897 mal 13863?«
→The chairman of the commission curtly asked : “Is that enough?” But one member inquired further; “How much is 12897 times 13863?”
»729«, antwortete Schwejk, ohne mit der Wimper zu zucken.
→“729,” answered Schweik without moving an eyelash.
»Ich glaube, das genügt vollkommen«, sagte der Vorsitzende der Kommission.
→ “I think that’s quite enough,” said the chairman of the commission.
»Sie können den Angeklagten wieder abführen, wo er war.«
→“You can take this prisoner back to where he came from.”
»Ich danke Ihnen, meine Herren«, sagte Schwejk ehrerbietig, »mir genügts auch vollkommen.«
→“Thank you, gentlemen,” said Schweik respectfully, “it’s quite enough for me, too.”
Nachdem er gegangen war, kam das Kollegium der drei überein, dass Schwejk ein notorischer Blödian und Idiot nach allen von den psychiatrischen Wissenschaftlern erfundenen Naturgesetzen sei.
→After his departure the three experts agreed that Schweik was an obvious imbecile in accordance with all the natural laws discovered by mental specialists.