► Hellmuth Karasek - Soll das ein Witz sein?
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HELLMUTH KARASEK
SOLL DAS
EIN WITZ
SEIN?
SOLL DAS EIN WITZ SEIN?
ECKART VON HIRSCHHAUSEN
VORWORT
Kennen Sie den? Kommt ein Literaturkritiker zum Arzt …
Klingt wie der Einstieg in einenWitz. Und so ist die Idee zu diesem
Buch auch entstanden: VonWein und Pasta beflügelt, in einer
Kneipe auf Sylt, wo Hellmuth Karasek und ich imLauf eines
langen Abends eine gemeinsame Leidenschaft entdeckten: das
Witzeerzählen.
Und wenn man, wie wir beide, schon seit Jahren auf der Suche
nach gutenWitzen ist, freut es jeden von uns umsomehr, auf einen
Kenner und Sammler zu stoßen, der noch andere seltene
Kostbarkeiten in seinem Repertoire hat. Bis spät in die Nacht
hauten wir uns die Pointen um die Ohren und hatten samt allen
anderen Anwesenden an unserem Tisch sehr viel Spaß. Im
Nachhinein heißt es bei solchen Gelegenheiten stets: »Man hätte
dabei sein müssen.« Deshalb haben wir unser nächtliches Treffen
noch einmal aufleben lassen, in Berlin in der »Bar jeder Vernunft
«. Und jetzt kann jeder nachträglich noch »live« dabei
sein, denn wir haben es aufgenommen und zugunsten der Stiftung
HUMOR HILFT HEILEN eine CD daraus gemacht: Ist das
einWitz?
Als Arzt hat mich dieWirkung von Humor schon immer fasziniert:
Genauer gesagt war ich erst Komiker und dann Arzt, nicht
umgekehrt. Denn schon in der Schulzeit sammelte ich Witze
und trat als kabarettistischer Zauberkünstler auf.
Wenn man die Physiologie des Lachens betrachtet, erkennt
man, dass Humor das natürlichste Anti-Stress-Mittel ist, das es
überhaupt gibt. Wenn wir Angst haben, weil wir nicht wissen,
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ob etwas Bedrohliches auf uns zukommt, dann spannen wir unsere
Muskeln an. Aber was tun wir, wenn wir lachen? Wir entspannen
unsere Muskeln, lassen sie gewissermaßen los, denn
im Lachen können wir die Muskelspannung gar nicht aufrechterhalten.
Kinder wälzen sich vor Lachen auf dem Boden, lachende
Erwachsene krümmen sich, können manchmal gar
Muskeln entspannen, die sie eigentlich seit ihrem vierten Lebensjahr
ganz gut unter Kontrolle hatten. Daher kommen auch
Redewendungen wie: Man lacht sich krumm, kaputt oder gar
krank.
Nach dem Lachen sinkt der Blutdruck, und das Immunsystem
verbessert sich. Gut belegt ist die schmerzhemmende Wirkung
des Lachens. Das kann jeder selbst überprüfen: Hauen Sie sich
mit einem Hammer auf den eigenen Daumen! Einmal alleine,
und dann noch einmal in Gesellschaft, Sie spüren den Unterschied.
Alleine tut es lange weh, in Gesellschaft muss ich über
meinMissgeschick lachen, und der Schmerz lässt nach. Deshalb
sollten Menschen mit Schmerzen nicht alleine sein und etwas
zu lachen bekommen. Bis es Humor auf Krankenschein gibt, ist
es sicher noch ein weiter Weg, aber man darf ja wohl träumen
von einer neuen Kultur, die sichmehr damit beschäftigt, was der
menschlichen Seele guttut und sie vor Stress schützt. Im Gesundheitswesen
und in der Gesellschaft.
Ein verbreitetes Vorurteil verbannt das Lachen ins Reich des
Oberflächlichen. Unsinn, im Gegenteil: Die Psychologie des
Humors stößt zu den grundlegendstenMenschheitsfragen vor –
wie ticken wir, warum täuschen wir uns so leicht, wie kommen
wir der Wirklichkeit näher, woran halten wir gedanklich fest,
und wann sind wir bereit, die Kontrolle abzugeben, loszulassen,
uns im Lachen hinzugeben und zu ergeben?
Bei aller Übereinstimmung gibt es zwischen Hellmuth Karasek
und mir naturgemäß auch Auffassungsunterschiede: Er bezieht
sich gern auf Sigmund Freud und die Psychoanalyse, die ich arg
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verquast finde. Das ganze Gedankengebäude in einem Aphorismus
zusammengefasst:Wenn jemand eine Schraube locker hat,
liegt es an derMutter. Und wenn man den Freudianern mit vernünftigen
Argumenten kommt, lautet ihre stereotype Antwort:
Da hast du etwas verdrängt.
Ich bin überzeugt, dass es zeitgemäßere und wirksamere Ideen
in der Psychotherapie gibt. So arbeitet man in der Hypnotherapie,
den systemischen Ansätzen und auch in der provokativen
Therapie nach Frank Farrelly mit der heilenden Wirkung von
humorvollen Geschichten. Da kann eine Geschichte, zum richtigen
Zeitpunkt in einer tragfähigen Beziehung erzählt, mit einem
Gedanken ein ganzes Lebensprinzip verdeutlichen. Und
hinter diese Erkenntnis des anderen Blickwinkels kommt man
auch nicht mehr zurück. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass es
besser ist, eine offenkundige Schwäche gar nicht erst zu verstecken,
sondern aus der Schwäche eine Stärke zu machen:
Ein Stotterer bewirbt sich als Vertreter, er will Bibeln von Tür zu
Tür zu verkaufen. Der Vertriebsleiter der christlichen Firma ist
skeptisch, erbarmt sich jedoch: »Na gut, hier haben Sie eine Bibel,
probierenSiemal IhrGlück.«Eine halbe Stunde später ist der Stotterer
wieder da. Verkauft! Der erstaunte Vertriebsleiter gibt ihm
jetzt drei Bibeln – nach einer Stunde sind auch die verkauft. Um
es kurz zu machen: In zwei Tagen sind dreißig Bibeln verkauft, da
nimmt der Vertriebsmann den Stotterer zur Seite und sagt: »Guter
Mann, ich mache das seit zwanzig Jahren, habe aber noch nie
erlebt, dass jemand so erfolgreich Bibeln verkauft. Ich verrate Ihren
Trick nicht, aber sagen Sie mir bitte, wie Sie das machen.«
»G-g-ganz einfach. Ich k-klingel und sag, hier ist die Bi-Bibel, wollen
S-S-Sie k-k-kaufen, oder soll ich vo-vo-vorlesen?«
Eine große Leitfigur dieser Art moderner Psychotherapie ist
Viktor Frankl, der aus seiner eigenen Biografie eine unglaubliche
Wende im therapeutischen Denken entwickelt hat. Im KZ
hat er mit anderen jüdischen Häftlingen verabredet, jeden Tag
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einen Witz zu erzählen. Im Nachhinein sagte er, dass dieses
Festhalten an der Freiheit im Kopf ihm in der verzweifelten Situation
immer wieder Kraft gegeben habe. Aus seinen traumatischen
Erfahrungen hat Viktor Frankl später die Logotherapie
entwickelt, die davon ausgeht, dass Menschen das Erlebnis von
Sinn, von Sinnhaftigkeit dringender benötigen als alles andere.
Wenn ein Patient sich beispielsweise umbringen wollte, hat er
ihn gefragt, warum er es bisher nicht getan hat! Er drehte also
die Perspektive um und fragte sein Gegenüber nach dem, was
ihm bisher Halt gegeben hat, um daran zu arbeiten.
Humor ist das bewährte Gegengift gegen irrsinnige Annahmen
und felsenfeste Überzeugungen. Instinktiv lieben wir alle diese
unumstößlichen Gewissheiten, aber der Humor kann sie ins
Wanken bringen und die Perspektiven verändern. Wenn wir
uns von dem Schock erholt haben, sehen wir klarer als vorher:
Vielleicht ist alles ganz anders, nicht schwarz oder weiß, sondern
bunt.
Ein Beispiel: Ein betrunkener Mann tastet sich um eine Litfaßsäule
herum, läuft dabei immer im Kreis und schreit: »Hilfe, ich
bin eingemauert!« Durch das Fassungsvermögen seines Magens
ist das Fassungsvermögen seines Hirns eingeschränkt, er versteht
nicht, dass er sich nur umdrehen müsste, um schlagartig
frei zu sein.
Diese subversive Sprengkraft des Witzes erklärt auch, warum
sämtliche Diktaturen, alle Herrschaftssysteme, die auf brutaler
Unterdrückung und totalitärer Ideologie beruhen, ungeheure
Angst vor Komik und Satire haben. Eines meiner großen Vorbilder,
Werner Finck, hat in den Zeiten der Naziherrschaft beispielhaften
Mut bewiesen. Zu einem Gestapo-Spitzel, der versuchte,
seineWitze mitzuschreiben, sagte er: »Kommen Sie mit,
oder soll ich mitkommen?« Und er fügte hinzu: »Ich stehe hinter
jeder Regierung, unter der ich nicht sitzen muss, wenn ich
nicht hinter ihr stehe.«
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Die widerständige Tradition vonWitzen setzte sich dann in den
Zeiten des Kalten Kriegs im Ostblock fort. In der DDR erzählte
man sich,Willy Brandt habe zuWalter Ulbricht gesagt: »Mein
Hobby ist, Witze zu sammeln, die die Leute über mich erzählen.
« Dazu Ulbricht: »Ich habe ein ganz ähnliches Hobby: Ich
sammle Leute, die Witze über mich erzählen.«
Witze zünden im Kopf, wenn Bilder entstehen, die nicht zusammenpassen,
und wir uns nicht entscheiden können, was denn
nun »richtig« ist. Unser Verstand möchte so gerne immer alles
verstehen und in Gut und Böse einteilen. In ihrer Komplexität
und ihren Paradoxien sträubt sich die Welt indes gegen derart
eindeutige Zuordnungen; damit wir daran nicht verzweifeln,
wurde uns das Lachen geschenkt. Unser Geist kennt drei Zustände,
in denen Widersprüche auftauchen und stehen bleiben
können: der Traum, die Psychose und das Lachen. Unter ihnen
ist das Lachen eindeutig der heilsamste Geisteszustand. Lassen
Sie sich also anstecken von der gesündesten Infektionskrankheit
derWelt: dem Lachen!
Schopenhauermeinte, jedes Lachen sei eine kleine Erleuchtung.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Vergnügen, Aufklärung
und Erkenntnis bei der Reise meines Freundes Hellmuth Karasek
durch dieWelt derWitze. Und wenn Ihnen einer besonders
gut gefällt, erzählen Sie ihn weiter. Glück kommt selten allein.
Lachen auch. Gemeinsam zu lachen ist das, was uns Menschen
erfolgreich macht. Statt uns die Köpfe einzuschlagen, lassen wir
lieber den Geist Funken schlagen. Humor ist vor allen Dingen
ein soziales Phänomen, das Aggressionen mindert, Menschen
zu Gruppen zusammenfügt und Stress abbaut. Was will man
mehr? Jede Frau sucht einenMannmitHumor.Und umgekehrt.
Konkret will die Frau einen, der witzig ist, der Mann eine, die
ihn witzig findet. Und Hellmuth ist wirklich witzig! Doch urteilen
Sie selbst.
Goethe hat schon erkannt, dass nichts den Menschen so treffend
charakterisiert wie das, worüber er lacht. Jeder Witz, den
einMensch erzählt, ist also auch eine Art Persönlichkeitstest für
sein Gegenüber, ebenso wie für den Erzähler selbst. Von peinlich
berührt, im Tiefsten bewegt bis lustvoll gekitzelt ist alles
drin. In diesem Sinne, viel Freude, erkenne dich selbst
– und lache auf!